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Artikel erschienen am 22.04.2003
 
 
Written in Thailand
 
Die Medienkrise in Deutschland lässt den Dumping-Journalismus blühen: Die Texter schreiben in Asien
 
von Daniel Kestenholz
 
Wenn Leben und Arbeit in paradiesischen Tropen angenehmer sind, warum noch länger in deutscher Kühle harren? So gedacht von Wolfgang Merkert, einem vor etlichen Jahren bereuenden Workaholic, dem "immer mehr Zweifel aufkamen, ob mein bis dahin geführtes Leben auch für die Zukunft der richtige Weg ist". In den Tropen erfand Merkert, 51, einen neuen Gewerbezweig: Das Dumping im Journalismus.
 
Merkert hatte damals als Presseleiter für einen Konzern mit acht Milliarden Mark Jahresumsatz gearbeitet. Auf die Geburt seiner Tochter 1994 folgte der große neue Lebensbeginn. Er siedelte mit Frau und Tochter nach Thailand über, schließlich hatte es ihm dort im Urlaub sehr gut gefallen.
 
In der südlichen Urlaubsprovinz Krabi, bei Palmen und Strand, schreibt und redigiert Merkert noch immer, und zwar für deutsche Unternehmen und zu Preisen, "von denen man in Deutschland nicht mal seine Miete bezahlen könnte", so Merkert.
 
Nicht, dass Merkert ein Aussteiger wäre und so knapp über die Runden käme. Merkert liefert, was gefragt ist. Denn welches Gewerbe lagert in diesen schweren Zeiten nicht ins billigere Ausland aus? Dumping heißt der Kostenzwang, gleiches für weniger anzubieten. Der Zahnarzt in Ungarn kostet bekanntlich einen Bruchteil, die Asiaten haben sowieso ein Händchen für alles, und wenn sich Geldverdienen mit dem Schönen am Leben verbinden lässt, warum nicht auch Dumping im Gewerbe der schreibenden Zunft.
 
Seit nun sechs Jahren arbeitet Merkert in einem Breitengrad, wo der Garten als Stube dient; wo sich mit einem Laptop, einer Telefonleitung und etwas Schreibkönnen machen läßt, so Merkert, was in Deutschland "eine vom Kosten-/Nutzenaspekt her unverhältnismäßig teure Arbeitsleistung" sei.
 
Über die Jahre schloss Merkert vier Kollegen mit Schreiberfahrung, die er auf Reisen getroffen hatte, in sein "European Asian Business Network" (EABN) ein. Alles Kollegen, so Merkert, die in der Region leben und aus "knappen Inhaltsvorgaben schicke Editorials" verfassen können.
 
Aufs Schreiben seien die Mitschreiber aber nicht angewiesen. Sie hätten nebenbei ein eigenes Restaurant, ein Geschäft. Schreiberei sei ihnen nicht existentielles Bedürfnis, sondern Spaß - um, wie es ein Kollege aus dem lockeren Verbund umschreibt, "auf Dauer nicht zu verblöden".
 
Tatsächlich hat die thailändische Tropensonne schon so manchem Auswanderer das Hirn regelrecht verbrannt. Offenbar nicht so bei Merkert und Kollegen, die sich über das Arbeitsvolumen nicht beklagen können, seit EABN in Deutschland ein Inserat geschaltet hatte - "da gab´s eine ziemliche Reaktion darauf", so Merkert. Seine Frau habe schon zu nörgeln begonnen, ob man nach Thailand ausgewandert sei, um wieder zur Gattung der Workaholic zu gehören.
 
Dass die EABN-Schreibkräfte aber mit einem Drink in der Hand eben mal tolle Geschichten in den Laptop eintipseln und sich nach getaner Arbeit bei Bier und Mädchen amüsieren, das verwirft Merkert als "Unsinn und Vorurteil". Das kleine Büro der Gelegenheitsschreiber maße sich nicht an, gestandene Journalisten oder PR-Agenturen zu ersetzen. Schließlich aber lasse es sich auch aus einer Hängematte heraus seriös arbeiten - wenn auch nicht für alle Bedürfnisse.
 
Denn hehrer Journalismus mit teuren Recherchen und so, "nein, das geht einfach nicht, das wäre zu teuer", sagt Merkert. Man wolle mit reiner journalistischer Dienstleistung unterstützen. "Wir erledigen die niederen, lästigen, zeitraubenden Dinge des redaktionellen Alltags. Wir machen, was sich für Journalisten, Redaktionsbüros und Firmen rechnet".
 
Redaktionsbüros nehme man Redigierarbeit ab, Verbandszeitungen würden nach pfiffigen Leitartikeln verlangen, für freie Journalisten schreibe man Zweit- und Drittfassungen von gleichen Stücken, und für Firmen erstelle man Jahres- und Presseberichte. Man bringe, so Merkert, alles in "anständige Form" - immer mit dem Gewinn der Zeitverschiebung. Am Vorabend aus Deutschland eingetroffenen Texte würden am nächsten Morgen, wenn es in Asien bereits wieder spätnachmittags sei, frisch und redigiert zum Frühstückskaffee auf dem Arbeitstisch liegen.
 
Oft beschränke sich die Arbeit auf das "Runterdreschen auf den berühmten 1-2 Spalter". Und das für 30 Cent pro Zeile oder 15 Euro die Stunde - Preise, gegen die sich deutsche Gewerkschafter mächtig ins Zeug legen würden.
 
Merkerts Dumping-Preise unterbieten sogar häufig die zahllosen freien Journalisten in Deutschland, die infolge Announcenflaute derzeit zu Schleuderpreisen arbeiten, über die vor zwei, drei Jahren noch gelächelt worden wäre.
 
Merkert aber verfasst - wie im schreibenden Gewerbe immer üblicher - anonyme Textware ohne Copyright oder Autorenname. Ganz undeutsch halt, oder "unbürokratisch", wie Merkert sagt. "Ohne Vertrag, ohne zeitliche Bindung, ohne Kündigungsfristen. Geld machen wir nicht richtig damit", räumt Merkert ein, und die Auftragslage sei launisch. Vor Messen, wenn Pressemitteilungen am Laufmeter rausgehen müssten, würden Aufträge manchmal nur so reinfliegen. Zu anderen Zeiten seien ganze Monate "mausetot". Doch schließlich ist der Strand nicht fern und es gehe beim EABN "nicht primär ums Geldverdienen, sondern um den sprichwörtlichen Spaß an der Freud".
 
Das Dumping verhilft dem Billiganbieter sogar zu Expansionsplänen. Vielleicht kaufe man bald, so Merkert, auch einen Mac für Layout-Arbeiten und so. Denn welcher Grafiker in Deutschland arbeite schon für diese paar Euro die Stunde. Noch seien neun von zehn Auftraggebern alte Bekannte und Freunde aus früheren Zeiten. Es gebe aber immer mehr Anfragen von Außen zu weiteren Dienstleistungen. Namen von "Autoren" und Kunden will EABN keine nennen. Merkert spricht von auch angesehenen Häusern - "doch niemand gibt´s gern zu".
 
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